Ein Film, ein Theaterstück hat immer ein Drehbuch. Die Geschichte ist durchdacht, sie entstand in irgendeinem Kopf, mit einem Anfang und einem Ende, und manchmal weiss man sofort,
wohin etwas führt, und manchmal wird man überrascht von einer Entwicklung. Aber jemand hat Regie geführt. Und bevor man ein Theater besucht oder sich einen Film anschaut, kann man alles
irgendwo nachlesen, wenn man erfahren will, was einen erwarten wird.
Der Sport ist anders. Das Drehbuch wird aktuell geschrieben. Ein Augenblick, eine einzige Szene, kann alles verändern. Und das Ende ist ganz anders. Darin liegt die Faszination.
Im Ungewissen. Im Unerwarteten. Im Unerklärlichen oft. Es ist immer wieder ein neuer Film, ein anderes Theater. Der Hauptdarsteller ist vorher nicht bekannt; Zinedine Zidane wird
vielleicht auf Plakaten und in Zeitungen angekündigt wie Dustin Hoffman oder Julia Roberts, doch während der Star im Film oder auf der Bühne dann auch die Szene beherrscht, spielt der
Star mit dem Ball vielleicht in diesen 90 Minuten eine Nebenrolle. Andere stehen dafür im Mittelpunkt.
Es passiert plötzlich etwas, und das schreibt Geschichte, und am andern Tag ist das - und nur das - ein Thema über das alle reden, und vielleicht bleibt es ewig in den Köpfen. Wir können
es nachher nochmals in Ruhe ansehen, im Fernsehen, auf Video, in Zeitlupe, immer wieder; wir geniessen das Tor, das Ereignis, aber ähnlich intensiv ist es trotzdem nicht mehr - der
Moment, als wir im Stadion sassen, direkt dabei waren, bleibt einmalig und nicht wiederholbar.
Es war Dienstagabend im Schluefweg, Kloten gegen Davos im Playoff. Nach 30 Sekunden hiess es 0:1, nach 12 Minuten 0:4, keine Spannung mehr, keine Hoffnung für die Klotener, fertig, aus,
entschieden, nur noch Pflicht. Langweilig. Der arme Pavoni im Tor der Klotener, denken wir, sein letztes Spiel mit seinem Klub mit dem er verheiratet war, und dann sieht er zwei-,
dreimal wie ein Anfänger aus. Er tut einem Leid. Und irgendwann steht es 0:6, und man hört nur noch die gelben Davoser singen und jubeln.
Bis - bis plötzlich alle in die gleiche Richtung blicken. Zur Klotener Bank. Ist das nicht...? Er steht da. Nicht mehr in Jeans und Jacke wie zuvor, sondern plötzlich in ganzer
Eishockeymontur. Die Nummer 24. Er: Felix Hollenstein. "Fige". Nichts war geplant, nichts abgesprochen, doch dann war Hollenstein von der Tribüne herabgestiegen, hat sich umgezogen,
die Davoser waren einverstanden, auch wenn er, weil auf keinem Matchblatt notiert, eigentlich gar nicht hätte spielen dürfen.
Er kommt aufs Eis, ein letztes Mal, er grüsst und lächelt und alle klatschen, und während es zuvor fast still war im Stadion, stehen nun alle auf, nicht aufgefordert durch irgendwelche
Gesänge, sie stehen, weil der Moment ein besonderer ist. Klotener, Davoser, alle. Und sie klatschen und schreien gemeinsam, sehen nur noch ihn und verfolgen jede Bewegung. Und alle
denken und hoffen: Möge der doch, ein letztes Mal, ein allerletztes, "Fige" flieg, schiess, mach es, steht ihm doch nicht im Wege, ihr Davoser.
So weit kommt es nicht. Felix Hollenstein schiesst kein letztes Tor. Aber er, der so viele Jahre die Klotener Geschichte geschrieben hat, der Ur-Klotener, der - was heute fast keiner
mehr tut - immer dort blieb, wo er mit Spitzeneishockey anfing, nahm auf diese Weise Abschied. Das verletzte Knie hat verhindert, dass er eine letzte Saison spielen konnte, aber ganz
zuletzt stand er nochmals auf dem Eis.
Nicht ein Tor, nicht ein Sieg, nicht er mit einem Pokal in den Händen, das alles wird nicht die letzte Erinnerung sein - sondern der Moment, Dienstagabend, 26. März 2002, sechzehn
Minuten vor zehn, als plötzlich die Nummer 24 auf der Bank sass und dann nochmals über das Eis lief, ein letztes Mal. Es war kein Moment für die sportliche Weltgeschichte, aber er
wird ewig in den Köpfen bleiben, der 7561 im Schluefweg, die dabei waren. Es war in keinem Drehbuch vorgesehen. Kein Abschied, der vorher geplant war. Die Nummer 24 war
einfach plötzlich da.
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